Kultur des Scheiterns

Die Insolvenz ist ein Versagen der Kommunikation zwischen Schuldnern und Gläubiger. Daran wird auch die Reform des Privatkonkurses nichts ändern.

Es gibt Erfolgsgeschichten die nur im Geheimen erzählt werden. Der Zwangsausgleich in Österreich zählt dazu. Am 1. Jänner 1915 eingeführt, als die Kriegsbegeisterung noch nicht ganz verwichen ist, wollte man eine Kultur des Scheiterns gesetzlich festschreiben. Joseph Schumpeter sah gerade in der „Schöpferischen Zerstörung“ die Kreativität eines Neuanfangs und dass dieser Erste Weltkrieg nicht nur die Habsburgermonarchie sondern auch die Traumzeit der Millionäre beenden sollte, wollte niemand so recht glauben.

Rund 50 mal wurde seitdem die Konkursordnung novelliert ehe 2010 alles unter ein gemeinsames Dach einer Insolvenzordnung kam. Am 1. Jänner 1995 wurde das „Schuldenregulierungsverfahren der natürlichen Person“ eingeführt, das im Volksmund den Namen „Privatkonkurs“ trägt. Herzstück dieses Verfahrens ist die Möglichkeit für den Schuldner, einen Zahlungsplan zu beantragen. Er kann auch den Antrag auf ein Abschöpfungsverfahren mit Restschuldbefreiung stellen. Allerdings wird darüber erst entschieden, wenn der Zahlungsplan gescheitert ist, wenn er also von den Gläubigern nicht die erforderlichen Mehrheiten bekommen hat.

„Der Privatkonkurs dauert jetzt nur noch drei Jahre!“ Dieser Satz, den man derzeit mehr als häufig hört, bezieht sich aber nur auf das Abschöpfungsverfahren, das derzeit sieben Jahre beträgt in denen mindestens zehn Prozent der Schulden zurückgezahlt werden müssen.  Er ist ebenso unjuristisch wie falsch und darauf aufgebaute Überlegungen gehen von falschen Voraussetzungen aus.

Der Zahlungsplan ist der Urenkel des Zwangsausgleiches und hat durchaus das Zeug dazu ein Erfolgsmodell zu werden. Er ist weitgehend frei von staatlichen Vorschriften, es gibt keine Mindestquote, keine Mindestlaufzeit; nur die Höchstlaufzeit von sieben Jahren. Sie ist eine Einigung zwischen Gläubigern und Schuldner, er stellt die verloren gegangene Kommunikation zwischen diesen beiden Gruppierungen her.

Und wie beim Zwangsausgleich (er heißt jetzt Sanierungsplan) wird die „Zukunft“ als Vermögenswert eingesetzt und damit das Prinzip Hoffnung. Beim Zahlungsplan ist das für Private angemessen er muss „zulässig“ sein und das bedeutet, den Insolvenzgläubigern mindestens eine Quote anzubieten, die der Einkommenslage in den folgenden fünf Jahren entspricht. Erst wenn die Gläubiger bei der Tagsatzung diesen Zahlungsplan nicht annehmen, das heißt wenn nicht die Hälfte der anwesenden Gläubiger, die dazu noch die Hälfte der Schulden halten, dafür stimmt; wenn also dem Zahlungsplan die Annahme verweigert worden ist, dann wird das dreijährige Abschöpfungsverfahren eröffnet.

Es gibt nur eine Möglichkeit die Verpflichtung zu umgehen, den Zahlungsplan vorzulegen: wer am Existenzminimum lebt oder knapp darüber und anzunehmen ist, dass dies durch die Laufzeit von drei Jahren so bleiben wird, muss keine Zahlungen leisten.

Die Vorgaben sind also deutlich: nur wer an dem unteren Ende der sozialen Schichtung steht, darf einen Konkursantrag ohne Zahlungsplanvorschlag stellen und damit auf das neue Abschöpfverfahren hoffen. Allen anderen winkt ein zumindestens fünfjähriges Verfahren: es lässt sich doch wohl kaum argumentieren, dass jemand die Einkommenslage der kommenden fünf Jahre schon in drei Jahren erreicht, dann aber nichts mehr zahlen will.

Die Zulässigkeit wird überhaupt zum Angelpunkt der Verfahren nach der neuen Gesetzeslage. Es werden die Gläubigerschutzverbände sein, die, schon um ihre Existenzberechtigung zu beweisen, dafür sorgen werden, dass dieser Fluchtweg  aus den Schulden nur schwer gangbar sein wird. Und Zahlungspläne im Konkursverfahren werden einer besonders strengen Überprüfung unterworfen sein. War es bislang die Drohung den Zahlungsplan scheitern zu lassen, womit ein unangenehmes sieben Jahre dauerndes Abschöpfungsverfahren in Kauf genommen werden musste - mit der Hürde einer Mindestquote, so wäre das jetzt ein Schuss der nach hinten losgeht.

Denn das ist der eigentliche Kernpunkt der neuen Gesetzeslage: es wird auf jeden Fall eine Restschuldbefreiung geben. Am ehesten und meisten wohl im Zahlungsplanverfahren, das ja schon derzeit durchschnittlich unter der zehn Prozent Quote endet. Der viel beschworene Unternehmensneustarter, nicht nur im Gastkommentar des Herren Lumsden, sondern auch in der Erklärung zur Regierungsvorlage ans Parlament wird er als Nutznießer der neuen Insolvenzordnung beschrieben, müsste so aussehen: als Mindestbesicherter geht er zu Insolvenzgericht wohl wissend, dass er die nächsten drei Jahre als Schläfer in diesem Zustand verharren wird. Dann explodiert er zu unternehmerischen Höchstleistungen.

Von denen seine Gläubiger aber nichts haben.

Das Zahlungsplanverfahren wird sich auf eine fünfjährige Dauer einpendeln, das dreijährige Abschöpfungsverfahren wird das bleiben, was sein siebenjähriger Vorfahr schon immer war: der Arme Leute Konkurs, vorbehalten jenen Menschen, die wirklich finanziell und sozial am unteren Ende der Skala stehen. Und einige Gruppen kommen neu dazu: etwa Menschen mit hohen Unterhaltsschulden oder gescheiterte Unternehmer die sich zur Ruhe setzen wollen. Das Abschöpfungsverfahren wird damit dem Ruf eine Abwrackprämie zu sein, mehr und mehr gerecht.

Das Zahlungsplanverfahren, der Enkel des Erfolgsmodelles Zwangsausgleich bekommt als Juwel eine neue und schöne Fassung. Und vor allem wird die gute Tradition fortgesetzt: die Insolvenz ist ein Versagen der Kommunikation zwischen Schuldnern und Gläubiger. Sie wieder herzustellen ist ein Teil der Kultur des Scheiterns.

Ob eine Reform des Privatkonkurses das Investitionsklima ändern wird sei dahingestellt. Dass Österreich ein sehr liberales Gesetz für die Unternehmensinsolvenz hat, änderte bisher nämlich nichts daran.

Wolfgang Vogel studierte Rechtswissenschaft, Geschichte, Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Hagen (Westfalen). Er ist für ein Unternehmen tätig, das Langzeitarbeitslosen zum Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt verhilft.

Wolfgang Vogel