Langzeitarbeitslosigkeit: Wie der Weg zurück in den Job gelingen kann

In Österreich gibt es rund 190.000 Langzeitarbeitslose. Betriebe wie die Radstation in Wien unterstützen beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt.

Rein formell betrachtet ist es Lena Piebers Aufgabe, Langzeitarbeitslose qualifiziert auszubilden, pädagogisch zu betreuen und bei der Jobsuche aktiv zu unterstützen. Aber mitunter wählt Pieber Maßnahmen, die auf den ersten Blick eher wenig damit zu tun haben.

Es kann ein Fahrrad sein, das sie angehenden FahrradmechanikerInnen gibt, damit diese den Arbeitsweg tretend zurückzulegen. Es kann auch die Empfehlung sein, sich an einen Ernährungsplan zu halten, um ein paar Kilo abzunehmen.

Die Projektleiterin der Radstation am Wiener Hauptbahnhof grinst. „Meine Kollegen haben gesagt, das ist verrückt. Aber körperliche Gesundheit ist eine wichtige Voraussetzung, um gut arbeiten zu können.“

Pieber scheut sich auch nicht davor, vor der Staatsanwaltschaft vorzusprechen. Wie vor drei Jahren, als einer ihrer Mitarbeiter alkoholisiert am Rad von der Polizei aufgegriffen wurde. Mit einer Bürgschaft holte sie ihn aus dem Gefängnis, begleitete ihn bei Entzug und Therapie. „Er arbeitet heute in Graz“, sagt Pieber.

Seit 17 Jahren begleitet die gebürtige Ukrainerin Langzeitarbeitssuchende in Österreich zurück in den Arbeitsmarkt. In der Radstation werden sie in verschiedenen Bereichen ausgebildet, darunter in der Werkstatt, im Verkauf oder Verwaltung.

Nicht immer gelingt es, eine Erfolgsgeschichte zu erzählen. Aber darum geht es ihr auch nicht. „Allein, dass jemand sechs Monate bei uns etwas Neues lernen konnte, hat eine enorm positive Wirkung.“ Oft seien es die kleinen Dinge, die Betroffenen ihr Selbstwertgefühl zurückgeben. Eine Tagesstruktur, eine Arbeitskleidung, das Ausfüllen von Stundenzetteln.

Quoten erfüllen

Völlig frei von Vorgaben ist Pieber in ihrer Arbeit allerdings nicht. Auch Sozialökonomische Betriebe arbeiten erfolgsorientiert. Mindestens 40 Prozent der unterstützten „Transitarbeitskräfte“ müssen in eine feste Anstellung vermittelt werden. „Wir schaffen es knapp immer wieder, aber wir bewirken keine Wunder. Es gibt Menschen, für die es immer schwierig sein wird, einen Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft zu finden.“ Das müsse auch sie hinnehmen.

Wer Pieber im Vorstellungsgespräch gegenüber sitzt, ist seit mindestens zwölf Monaten ohne Job, kämpft oft mit Armut, gesundheitlichen Problemen oder Suchterkrankungen. Hinzu kommen Mutlosigkeit oder Diskriminierungserfahrungen, die die Arbeitslosigkeit weiter verfestigen.

Die Ursachen sind vielfältig

„Viele leben in einer Parallelwelt, bewegen sich zwischen ihrer Wohnung und dem AMS und haben kein Netzwerk, auf das sie zurückgreifen können, um Arbeit zu finden.“ Und der sogenannte erste Arbeitsmarkt rückt mit jedem verstrichenen Jahr ein Stück weiter in die Ferne.

„Wer jahrelang keine Arbeit findet, dem kann eine Jobzusage allein nicht helfen. Die Ursachen sind vielfältig und ich setze mich mit allen auseinander“, so Pieber. Zudem sei viel Überzeugsarbeit bei Unternehmen nötig, Langzeitarbeitslosen wieder eine Chance zu geben.

190.000 Langzeitarbeitslose

Mehr als 190.000 Langzeitbeschäftigungslose waren in Österreich im März 2021 vermerkt, damit hatte fast jeder Dritte seit mehr als einem Jahr keinen Job. Der Großteil ist älter als 55 und männlich. Es zeigt sich allerdings, dass seit Ausbruch der Pandemie die Betroffenen immer jünger werden.

Und noch etwas ändert sich: Langzeitarbeitslosigkeit rückt zunehmend in die Mitte der Gesellschaft. Die Biografien der 35 Mitarbeitenden in der Radstation sind völlig unterschiedlich und für Pieber auch nicht relevant, sie gibt allen eine Chance.

Egal, ob jemand einen Doktor in Chemie und Biologie hat, Opernsängerin ist, Student oder Uni-Absolvent, Theater- und Filmwissenschaft studiert hat, jahrzehntelang selbstständig war, als Kellner, Koch oder Reinigungskraft gearbeitet hat. „Arbeitslosigkeit kann jeden treffen.“ Die Statistiken geben ihr Recht.

Beitrag auf kurier.at